Was ist die Weisheit des Ramadan?

W

Englisch Deutsch Französisch Spanisch Niederländisch Italienisch Griechisch Rumänisch Indonesisch Malaiisch Persisch Arabisch Türkisch

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

Im Monat Ramadan wurde der Koran als Rechtleitung für die Menschheit offenbart, als klare Botschaft, die Orientierung gibt und zwischen Recht und Unrecht unterscheidet. Qur’an 2/185

ERSTE WEISHEIT

Das Fasten im Monat Ramadan ist eine der ersteren der „Fünf Säulen des Islam“ und eines der größten Merkmale des Islam. Das Fasten im Monat Ramadan birgt viele Tiefgründigkeiten in sich. Diese sind hinsichtlich

  • der Herrschaft Gottes,
  • des sozialen Lebens des Menschen,
  • des persönlichen Lebens des Menschen,
  • der Selbsterziehung des Menschen und
  • der Dankbarkeit gegenüber den Gaben des Erhabenen.

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens in Bezug auf die Herrschaft Gottes ist die Folgende:

Der Allmächtige hat die Oberfläche der Erde als eine Gabentafel erschaffen, auf der die verschiedensten Gaben im Sinne des Koranverses
“Und versorgt ihn auf unvermutete Weise. (Sure 65, Vers 3)” angereiht sind.

Der Allmächtige offenbart seine Herrschaft und Barmherzigkeit, indem er auf diesen Zustand hinweist.

Menschen, die sich hinter dem Vorhang der Gottvergessenheit und im Raum der Ursachen befinden, können die Wahrheit, die dieser Zustand ausdrückt, nicht vollständig sehen und vergessen sie gelegentlich. Im ehrwürdigen Ramadan gleichen die Gläubigen mit einem Mal einer wohlgeordneten Armee. Sie warten – geladen als Gast des ewigen Königs – auf dessen Aufforderung, kurz vor der Abenddämmerung mit dem Mahl zu beginnen.

Mit dieser gottdienlichen Einstellung entgegnen sie der fürsorglichen, majestätischen und ganzheitlichen Barmherzigkeit mit einem umfassenden, großartigen und geordneten Gottesdienst. Sind Menschen, die nicht an diesem erhabenen Gottesdienst und dieser ehrenhaften Aufgabe teilhaben, des Menschenbegriffs würdig?

ZWEITE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens im heiligen Ramadan hinsichtlich der Dankbarkeit gegenüber den Gaben des Allmächtigen ist die Folgende:

Wie im „Erste[n] Wort(Das erste Kapitel im Buch „Die Worte“ von Bediuzzaman Said Nursî) geschrieben, haben die Speisen, die ein Speisenbringer aus der königlichen Küche bringt, ihren Preis. Es wäre jedoch töricht, den Speisenbringer zu belohnen, aber anzunehmen, dass die wertvollen Gaben wertlos sind, und deshalb den Spender zu ignorieren.

Der Allmächtige hat zahllose Gaben über die Oberfläche der Erde zum Nutzen der Menschen verstreut und erwartet Dankbarkeit als Preis. Die sichtbaren (Die sichtbaren Ursachen sind nicht die wahren Ursachen, sondern nur die Scheinbaren) Ursachen und Besitzer der Gaben entsprechen den Speisenbringern. Diese belohnen wir und sind ihnen dankbar. So gebühren wir ihnen mehr Respekt und Dankbarkeit, als ihnen zusteht. Dem wahren Besitzer gebührt wegen der Gaben unendlich viel mehr Dankbarkeit als den Ursachen. Nur mit dem Wissen, dass die Gaben direkt von ihm kommen, der Erkenntnis des Wertes der Gaben und dem Gefühl der Notwendigkeit der Gaben kann Dankbarkeit gelingen.

Daher ist das Fasten während des heiligen Monats Ramadan der Schlüssel zu wahrer, reiner, großartiger und umfassender Dankbarkeit. Da die meisten nicht armen Menschen außerhalb dieser Zeit keinen wahren Hunger verspüren, können sie den Wert vieler Gaben nicht verstehen. Der Wert eines Stücks trockenen Brotes wird von satten Menschen, besonders von reichen Menschen, nicht verstanden. Doch im Moment des Fastenbrechens bezeugt der Geschmackssinn, was für ein wertvolles Geschenk Gottes dieses trockene Stück Brot in den Augen des Gläubigen ist.

Wegen des Verbots, tagsüber zu essen, erkennt er an, dass

  • die Geschenke nicht sein Eigentum sind,
  • dass er nicht die Freiheit hat, sie zu verzehren,
  • sie folglich einem anderen gehören, dessen Gaben sie sind, und
  • dass er auf dessen Aufruf warten muss.

Mit dieser Haltung zeigt er seine Erkenntnis über den Ursprung der Gaben und seine Dankbarkeit.

Auf diese Weise wird das Fasten in vielerlei Hinsicht zu einem Schlüssel zur Dankbarkeit, die die wahre Aufgabe des Menschen ist.

DRITTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens in Bezug auf das soziale Leben des Menschen ist die Folgende:

Die Menschen wurden unterschiedlich erschaffen, was den Lebensunterhalt angeht.

Aufgrund dieser Unterschiede lädt der Erhabene die Reichen dazu ein, den Armen zu helfen. Doch erst durch den Hunger des Fastens können die Reichen den bemitleidenswerten Leid und den Hunger der Armen richtig spüren.

Ohne das Fasten gäbe es viele selbstsüchtige Reiche, die nicht verstehen würden, wie quälend es ist, in Hunger und Armut zu leben und wie groß das Bedürfnis der Armen nach Barmherzigkeit ist. Aus dieser Sicht bildet die Barmherzigkeit gegenüber den Mitmenschen ein Prinzip der wahren Dankbarkeit.

Jeder Mensch kann jemandem begegnen, der in gewisser Weise bedürftiger ist als er selbst. Gegenüber dieser Person ist er verpflichtet, Barmherzigkeit zu zeigen.

Gäbe es aber keine Pflicht, seinen eigenen Körper dem Hunger auszusetzen, würde die aus der Barmherzigkeit erwachsende Pflicht, an der Beschenkung und Hilfe der Bedürftigen teilzuhaben, nicht oder nur unvollständig erfüllt werden. Denn er spürt nicht den wahren Zustand des Leidens an seinem eigenen Körper.

VIERTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens während des heiligen Monats Ramadan in Bezug auf die Selbsterziehung ist die Folgende:

Die Seele will frei und ungebunden sein und versteht sich selbst als solche. Sie verlangt von seinem Wesen her sogar nach einer vermeintlichen Selbstbestimmung und willkürlichem Handeln.

Sie will nicht glauben, dass sie durch zahllose Gaben erzogen wird. Verfügt es zudem über Reichtum und Macht und stützt sich auf die Gottvergessenheit, ergreift es räuberisch die Gaben Gottes und verschlingt sie wie ein Tier. Im heiligen Ramadan begreift nun die Seele eines jeden, vom Reichen bis zum Armen, dass sie nicht Eigentümer, sondern Eigentum (Gottes) und nicht frei, sondern Diener (Gottes) sind. Wenn die Seele keinen Befehl erhält, kann sie die selbstverständlichste und einfachste Handlung nicht ausführen und somit nicht einmal Wasser trinken. Mit dieser Haltung bricht ihre vermeintliche Selbstbestimmung. Sie nimmt die Unterordnung an und besinnt sich auf ihre eigentliche Aufgabe der Dankbarkeit.

FÜNFTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens während des heiligen Monats Ramadan in Bezug auf die Verbesserung des eigenen Charakters und die Abkehr von ungehorsamem Verhalten ist die Folgende:

Der Mensch vergisst aufgrund seiner Gottvergessenheit sein eigenes Wesen. Er kann die wesenseigene grenzenlose Schwäche, unendliche Armut und den hohen Grad seiner Unvollkommenheit nicht erkennen und will sie nicht wahrhaben. Er denkt nicht daran, wie schwach, vergänglich und von Gefahren bedroht sein Körper ist und dass er aus Fleisch und Knochen besteht, die leicht verderben und verfallen. Er greift unbändig nach der Welt, als wäre sein Körper aus Stahl, als wäre er unsterblich und als würde er vom ewigen Leben in dieser Welt träumen. Mit unbändigem Drang und Gier, mit starkem Interesse und Zuneigung stürzt er sich auf die Welt. Er bindet sich an alle Dinge, die genussvoll und eigennützig sind. Außerdem vergisst er seinen Schöpfer, der ihn mit vollkommener Barmherzigkeit erzieht. Darüber hinaus denkt er nicht an die Erfüllung seines Lebenswerkes sowie an sein Leben im Jenseits und suhlt sich in seiner Charakterlosigkeit.

Das Fasten im heiligen Monat Ramadan lässt denjenigen, der in Gottvergessenheit und Sturheit gefallen ist, seine Gebrechlichkeit, Schwäche und Armut spüren. Aufgrund des Hungers denkt er an seinen Magen und erkennt die Bedürfnisse seines Magens. So erinnert er sich daran, wie marode sein gebrechlicher Körper ist. Er erkennt, wie groß sein Bedürfnis nach Mitgefühl und Barmherzigkeit ist. Er legt die götzenhafte Haltung seiner Triebseele beiseite, erkennt seine völlige Schwäche und Armut, spürt das Bedürfnis, zum Schöpfer zu gehen und bereitet sich darauf vor, mit einer Hand der Dankbarkeit am Tor seiner Barmherzigkeit zu klingeln – vorausgesetzt, dass die Gottesvergessenheit sein Herz nicht verdorben hat.

SECHSTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens während des heiligen Monats Ramadan

  • in Bezug auf die Offenbarung des weisheitserfüllten Korans, und
  • die Tatsache, dass die Offenbarung des weisheitserfüllten Korans im heiligen Monat Ramadan die bedeutendste Zeit der Offenbarung war,

ist die Folgende:

Da es so ist, dass der weisheitserfüllte Koran im Monat Ramadan offenbart wurde, stellt man sich vor, zum Zeitpunkt der Offenbarung anwesend zu sein, und um die himmlische Ansprache würdig zu empfangen,

  • befreit man sich von körperlichen Bedürfnissen und Nebensächlichkeiten,
  • wird engelhaft, indem man auf Essen und Trinken verzichtet,

und liest den Koran und hört den Koranlesungen zu, so

  • als ob er gerade offenbart würde,
  • als ob man der göttlichen Ansprache zur Zeit der Offenbarung zuhören würde,
  • als ob man der Ansprache des ehrwürdigen Propheten (saw) (Sallallahu aleyhi we sellem (saw): Abkürzung für die Lobpreisung und Segenswünsche an den Propheten) zuhören würde,
  • vielleicht sogar, als würde man sie vom heiligen Erzengel Gabriel hören,
  • vielleicht, als ob man sie vom ewigen Schöpfer hören würde

und so in einen gesegneten Zustand übergeht.

Und man kann als Wegweiser anderen das Hören des Korans zugänglich machen und den Grund der Offenbarung aufzeigen.

Im heiligen Monat Ramadan gleicht die islamische Welt einer Gebetsstätte – einer solchen Gebetsstätte, an der Millionen von Koranlesern (Hafiz) die Irdischen in den Ecken dieser großen Gebetsstätte dieser himmlischen Ansprache lauschen lassen. In jedem Ramadan wird die Ayat “Es ist der Monat Ramadan, in welchem der Koran herabgesandt wurde. (Sure 2, Vers 185)” in einer erleuchteten und glanzvollen Weise rezitiert, was beweist, dass der Ramadan der Monat des Korans ist. Einige der Mitglieder dieser großen Gemeinschaft hören den Koranlesern in Demut zu. Andere lesen ihn für sich selbst.

Angenommen man befindet sich nun in einer in diesem Zustand befindlichen, heiligen Gebetsstätte. So wie es verpönt ist und die Verachtung dieser Gemeinschaft auf sich zieht, wenn man den Gelüsten der niederen Triebseele verfällt und durch Essen und Trinken aus diesem erleuchteten Zustand austritt, so sind auch jene einer Verabscheuung und einer Verachtung durch die islamische Welt ausgesetzt, die sich den im Ramadan Fastenden entgegensetzen.

SIEBTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens im heiligen Ramadan hinsichtlich der Menschheit, die auf die Welt gekommen ist, um für das Jenseits zu säen und zu wirtschaften, ist die Folgende:

Im heiligen Ramadan wird der Gotteslohn für gute Taten vertausendfacht. Laut Hadith ist das Lesen eines Buchstabens aus dem mit weisheitserfülltem Koran gleichwertig mit zehn guten Taten und bringt zehn Früchte des Paradieses hervor. Im heiligen Ramadan liegt der Verdienst nicht bei zehn, sondern bei tausend. Für Buchstaben mancher Verse wie dem Thronvers (Âyat al-Kursî: Vers im Koran (Sure 2, Vers 255)) liegt der Verdienst bei mehreren Tausend, an den Freitagen im Ramadan ist er noch höher, und in der Nacht der Bestimmung (Lailat al-Qadr: Die koranische Offenbarung begann im Ramadan, in der Nacht der Bestimmung) liegt der Verdienst bei dreizigtausend.

Wahrlich, der dreizigtausend ewige Früchte überreichende, weisheitserfüllte Koran entspricht einem Paradiesbaum, welcher den Gläubigen im Ramadan Millionen ewig währende Früchte hervorbringt.

Nun komm, sieh dir den heiligen, Ewiges erbringenden und ertragreichen Handel an und denk nach, damit du verstehst, wie verlustreich jene sind, die den Wert dieser Buchstaben nicht anerkennen.

Also, der heilige Ramadan ist wie ein Ausstellungsplatz und ein Marktplatz für den Handel für das Jenseits. Er ist ein sehr fruchtbarer Boden für die Ernte des Jenseits. Er ist der Aprilregen im Frühjahr, der dafür sorgt, dass die Taten aufblühen. Er entspricht einem glanzvollen, heiligen Fest, bei dem der Gottesdienst der Menschen in Form einer Parade vor dem göttlichen Herrschaftstum des Schöpfers aufgeführt wird.

Weil dem so ist, wurde der Mensch zum Fasten verpflichtet, damit er sich nicht in Gottvergessenheit seinen tierischen Bedürfnissen – wie etwa Essen und Trinken – und nutzlosen trieberischen Gelüsten hingibt. Weil er vorübergehend die Tierheit aufgibt und engelhaft wird oder sich einem Handel für das Jenseits begibt und seine irdischen Bedürfnisse vorübergehend unterlässt, wird er wie ein Wesen aus dem Jenseits und wie ein durch Verkörperung sichtbar gewordener Geist.

So wird er durch sein Fasten zu einer Art Spiegel für die Unabhängigkeit des Schöpfers und die Gottabhängigkeit (Samadiyah (arabisch): Eigenschaft Gottes, die besagt, dass alles von Gott abhängig ist, Gott jedoch absolut unabhängig ist).

Wahrlich, der heilige Ramadan umfasst und erbringt in dieser vergänglichen Welt, dieser vergänglichen Lebenszeit und diesem kurzen Leben eine ewige Lebenszeit und ein langes, ewiges Leben.

Wahrlich, ein einziger Ramadan macht es möglich, die Früchte eines Lebens von 80 Jahren zu tragen. Die Nacht der Bestimmung ist – bestätigt durch den Koran – wertvoller als 1000 Monate und ist somit ein Beweis für dieses Geheimnis.

Wahrlich,

  • so wie ein Herrscher während seiner Herrschaftszeit, ja sogar jedes Jahr, den Tag seiner Ernennung zum Herrscher oder andere seine Herrschaft repräsentierenden Tage als Festtage ernennt und seinem Volk nicht im Rahmen der allgemeingültigen Gesetze begegnet, sondern
  • manche Gnadengeschenke persönlich überbringt,
  • sein Volk unverborgen empfängt,
  • sein Volk aufrichtig lobt,
  • seinem Volk seine großen Absichten vorstellt und
  • seinem würdigen sowie treuen Volk seine wahre Zuneigung zeigt.
  • So hat auch der Herrscher des Unanfänglichen und Ewigen, der auch der machtvolle Herrscher der achtzehntausend Welten ist, sein höchst ehrwürdiges Dekret – den „mit weisheitserfüllten Koran“, im ehrwürdigen Ramadan offenbart.
  • Selbstverständlich ist somit die unabdingbare Folge, dass der Ramadan ein besonderes göttliches Fest, ein Ausstellungsplatz des Herrschers, ein Versammlungsort der Geistlichen ist.

Nun, weil der Ramadan ein solches Fest ist, wird von den Menschen sicherlich ein Fasten verlangt, um sie von den niederen tierischen Beschäftigungen abzuhalten. Das wünschenswerteste Fasten ist dasjenige, bei dem, wie der Magen, auch alle anderen Sinnesorgane, d.h. die menschlichen Instrumente wie das Auge, das Ohr, das Herz, die Träume und die Gedanken, auf ihre eigene Weise fasten. Es geht also darum, den Menschen von Verbotenen und Nutzlosen fernzuhalten und alle seine Instrumente zum Gottesdienst entsprechend ihrer Beschaffenheit anzuleiten.

Zum Beispiel

  • das Fasten der Zunge, indem man sie von Lügen, übler Nachrede und gemeinen Worten fernhält,
  • die Stimme mit dem Rezitieren des Korans, der Namen Gottes, der Segenswünsche für den Propheten (asw) und
  • der Vergebungsgebete zu beschäftigen.

Oder zum Beispiel

  • indem er die Augen von der Intimsphäre Anderer und das Gehör von unanständigen Dingen fernhält, kann er seine Augen lehrreichen Betrachtungen und seine Ohren den wahren Worten und dem Hören des Korans widmen. Auch alle anderen Instrumente können auf ihre Weise fasten.

Denn der Magen ist die größte Fabrik des Körpers: Wenn er durch das Fasten stillgelegt wird, können alle anderen kleineren Arbeitsbereiche sich ihm leicht anschließen.

ACHTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des heiligen Ramadans in Bezug auf das persönliche Leben des Menschen ist die Folgende:

Er ist eine Art wichtigste Kur für den Menschen, die auf einer materiellen und geistigen Heilung beruht. Medizinisch gesehen ist es eine Therapie, denn je mehr der Mensch wahllos isst und trinkt, desto mehr schadet er seinem Körper, und indem er das Erlaubte nicht vom Verbotenen trennt und sich alles sündhaft gönnt, vergiftet er sein geistiges Leben. Der Triebseele fällt es schwer, ihrem Herzen und Geist zu gehorchen, und sie nimmt eigenwillig die Zügel in die Hand. So kann der Mensch die Triebseele nicht zügeln, sondern wird von ihr geführt.

Während des heiligen Monats Ramadan gewöhnt sich der Mensch durch das Fasten an die Kur, strebt nach Enthaltsamkeit und lernt, gehorsam zu sein. Indem er es vermeidet, seinen hilflos überladenen Magen zu füllen, bevor die Verdauung der vorherigen Nahrung abgeschlossen ist, beugt er Krankheiten vor. Aufgrund der Anweisung, auf Erlaubtes zu verzichten, entwickelt sich die Fähigkeit, den auf Vernunft und Religionsgesetzen (Scharia: Islamische Rechtsgrundsätze) beruhenden Verbotsbefehlen (Arabisch: Haram) zu gehorchen. Somit bemüht er sich, sein geistiges Leben nicht zu beschädigen.

Außerdem werden die Menschen häufig von Hungersnot geplagt. Sie sind auf das Hungern und die Enthaltsamkeit angewiesen, um Geduld und Ausdauer zu trainieren. Das Fasten im Ramadan ist fünfzehnstündig – ohne Sahur vierundzwanzigstündig – und erfordert Ausdauer und Geduld beim Hungern, Enthaltsamkeit und Training. Dementsprechend ist das Fasten die Medizin gegen Ungeduld und mangelnde Ausdauer, die dem Menschen doppelt schaden.

Außerdem hat der Magen, welcher wie eine Fabrik ist, viele Helfer. Zudem gibt es viele Instrumente des Menschen, die in Beziehung zum Magen stehen. Wenn die Triebseele einen Monat lang tagsüber nicht stillgelegt wird, führt das dazu, dass die Helfer dieser Fabrik und die Instrumente der Menschen

  • die Gottesdienste vergessen,
  • sich mit den Trieben der Seele beschäftigen und
  • unter die Zwangsherrschaft der Triebseele geraten.

Dies ist der Grund, warum sich seit jeher viele Gottesfreunde bewusst an die Askese und das Reduzieren von Essen und Trinken gewöhnt haben.

Jedoch verstehen die Diener dieser Fabrik durch das Fasten im heiligen Ramadan, dass sie nicht nur für diese Fabrik erschaffen wurden.

Anstelle der minderwertigen Feiern dieser Fabrik bevorzugen alle anderen Instrumente den Genuss bei den engelmäßigen und spirituellen Feiern und richten ihre Blicke auf diese. Im Ramadan erfahren die Gläubigen je nach Stufe ihres Glaubens geistige Erleuchtung, Bereicherung und Glückseligkeit. Durch das Fasten erweitern und bereichern sich die Gefühlsebenen des Herzes, Geistes, Verstandes und der „Neugier auf Gotteserkenntnis(Arabisch sirr: Eine Eigenschaft des Menschen zur Erstrebung der Erkenntnis Gottes und zur Erkenntnis der Geheimnisse der verborgenen Wahrheiten). Obwohl der Magen leidet, erfahren sie eine unverschuldete Freude.

NEUNTE WEISHEIT

Eine der vielen Tiefgründigkeiten des Fastens im heiligen Ramadan hinsichtlich des Brechens der vermeintlichen Selbstbestimmung und Aufzeigen der Schwäche der Seele und der folglich unmittelbaren Mittteilung ihrer Gottesdienstpflicht ist die Folgende:

Die Seele will ihren Herrscher nicht anerkennen und will in götzengleicher Haltung seine Selbstbestimmung. Egal, wieviel Strafe die Seele erfährt, diese böse Ader bleibt. Durch Hungern wird sie gebrochen. Das Fasten im heiligen Ramadan verpasst der vergötzten Haltung der Seele einen unmittelbaren Schlag und bricht sie. Das Fasten zeigt seine Schwäche, Gebrechlichkeit und Armut auf und teilt ihr mit, dass sie ein Diener Gottes ist.

In einem überlieferten Hadith heißt es:

Der Allmächtige sagte der Seele: „Wer bin ich, wer bist du?

Die Seele sagte: „Ich bin ich, du bist du.

Er bestrafte ihn, warf ihn in die Hölle und fragte erneut. Er sagte wieder: „Ene ene, ente ente.“ („Ich bin ich, du bist du.“)

Gleichgültig, welche Strafe er auch anwendete: Die Seele gab ihr Ego nicht auf.

Danach wurde sie mit Hunger bestraft. Sie wurde also dem Hunger ausgesetzt. Er fragte erneut: „Men ene? Ve mâ ente?“ („Wer bin ich? Wer bist du?“)

Die Seele antwortete: “Du bist mein barmherziger Herrscher. Ich bin dein schwacher Diener.

Oh Allah, mein Schöpfer! Gib unserem Oberhaupt der Schöpfung Mohammad, seiner Familie und seinen Gefährten so viele Segnungen und Frieden, wie die Anzahl der im Ramadan gelesenen Buchstaben, mit einer Barmherzigkeit, derer er würdig ist und die er verdient, und zwar so, wie du es für richtig hältst.

Gepriesen sei dein Herr, der allmächtige Herr! (Hocherhaben ist er) über alles was sie (über Ihn) aussagen! Friede sei mit dem Gesandten! Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten!

Englisch Deutsch Französisch Spanisch Niederländisch Italienisch Griechisch Rumänisch Indonesisch Malaiisch Persisch Arabisch Türkisch

Bediüzzaman Said Nursi

Avatar-Foto